von Stephanie Baalmann
Lernen und Bewegung stehen in direktem Zusammenhang - diese Erkenntnis hat man in der reformpädagogischen Grundschule am Hagenberg in Bad Iburg verinnerlicht. Dabei setzt die Schule nicht nur auf Lernförderung mittels vielfältiger Körpererfahrungen, auch die Einrichtung selbst will gedanklich flexibel bleiben und sich so immer weiterentwickeln.
Herz und Hand
Ein lachendes Strichmännchen - mit dem Herz am rechten Fleck- jongliert mit Zahlen, Bällen und Büchern. Das Logo der Grundschule am Hagenberg in Bad Iburg (www.gsah.de) zeigt, wie das Lernen besonders gut gelingt - nämlich mit Kopf, Herz und Hand. Ein Ansatz der Reformpädagogik, der durch die aktuellen Ergebnisse der Hirnforschung weitere Bestätigung erfahren hat. Lernen und Bewegung stehen danach in einem unmittelbaren Zusammenhang. Die zweizügige Grundschule am Hagenberg versteht sich als "lernende Schule", die Bewegung als Motor für das Lernen, aber auch als Motor für die Qualitätsentwicklung der Schule begreift. Die Bewegung in den Köpfen aller in der Schule Tätigen stellt dafür eine Grundvoraussetzung dar. Nur so bleibt die Verankerung von Bewegung im Unterricht und Schulleben nicht nur an der Oberfläche, sondern wird in den verschiedenen Handlungsfeldern umgesetzt und nachhaltig gelebt. Die theoretische Auseinandersetzung mit der Bedeutung von Bewegung für die Entwicklung der Persönlichkeit jedes einzelnen Kindes, den verschiedenen Konzepten der "Bewegten Schule" sowie verschiedene praktische Lehrerfortbildungen bildeten die Grundlage für die Entwicklung und Fortschreibung unseres Förderkonzeptes, auf dessen Grundlage wir die Ziele unseres Schulprogramms praktisch umsetzen.
Die Entwicklung der Gesamtpersönlichkeit und der Erwerb der Selbst-, Sozial-, Sach-, und Methodenkompetenz sind dabei grundlegende Ziele der Grundschularbeit. Um diese Lernkompetenzen bei den Schülerinnen und Schülern individuell zu fördern, haben wir im Förderkonzept die beiden Schwerpunkte "Entwicklung der Lesekompetenz" und "Motorik" gewählt. Beide Bereiche sehen wir als Schlüsselqualifikationen für das weitere Lernen an, denn sie eröffnen den Zugang zur Welt.
Fördern durch Bewegung: In der Grundschule am Hagenberg setzt man darauf, Lehrinhalte auch körperlich zu vermitteln
Viel Zubehör ist nicht nötig
Und wie sieht die praktische Umsetzung aus? Unser Unterricht findet in 55- bzw. 90-minötigen Lernblöcken statt. Durch die Abkehr vom 5-Minutenrhythmus kann individueller auf die jeweilige Klassensituation eingegangen werden. Phasen der Anspannung wechseln mit Phasen der Entspannung - und mit Bewegungsphasen ab. In jeder Klasse steht ein CD-Player, unter den Kolleginnen werden Bewegungs-CDs ausgetauscht. Die vielfältigen Möglichkeiten, Kinder in Bewegung zu bringen, wurden in zahlreichen praktischen Fortbildungen erarbeitet.
Auch ohne Musik ist Bewegung mittels Gedankenreisen oder Utensilien aus dem Klassenraum (z.B. Jonglieren mit dem Bleistift) selbst auf begrenztem Raum möglich. Die besten Ideen aber kommen von den Kindern selbst: Im Wechsel überlegen sie sich Bewegungen und stellen sie den anderen Kindern zum Nachmachen vor. Das stärkt das Selbstwertgefühl und vermittelt ihnen die Erfahrung: Ich habe eigene Bewegungsideen, bin aktiv, bewege mich mit Freude und benötige dazu nicht unbedingt spezielle Geräte.
So machen aktive Pausen Spaß: Bei der Neugestaltung des Pausenhofes wurden auch die Ideen der Schüler berücksichtigt
Bewegung gehört zum Alltag
Bewegung dient aber nicht nur der Entspannung, damit die Schüler sich im Anschluss besser konzentrieren können. Vielmehr soll die Bewegung auch das Lernen selbst unterstützen. Das Plus- und Minusrechnen kann z.B. auf der Treppe oder auf einer liegenden Seiltreppe stattfinden, die neu erlernten Buchstaben werden im Sand oder auf Seilen nachgelaufen, das Einmaleins wird mit einem Bewegungslied gelernt und die neuen Lernwörter werden auf dem Flur verteilt, müssen schleichend und leise gesucht und dann am Platz ins Heft eingetragen werden. Offene Unterrichtsformen wie z.B. das Stationenlernen, das Lernen nach Wochenplan und Freiarbeit sind besonders gut geeignet, Bewegung einzubeziehen.
Auch beim Erstellen eines Referates mit einem Lernpartner oder in der Gruppe haben die Kinder durch den Wechsel des Arbeitsplatzes (z.B. Recherche am Computer oder Gang in die Bibliothek) Bewegungsmöglichkeiten. Rollenspiele zur Streitschlichtung oder das Nachspielen von Szenen eines zuvor besuchten Theaterstückes zeigen, wie vielfältig Bewegung im Schulalltag eingesetzt werden kann.
Vielleicht erinnern Sie sich daran, dass Sie selbst Gedichte besonders gut beim Gehen gelernt haben? Gerade in Grundschulen gehört die Bewegung deshalb mittlerweile zum Alltag.
Bewegte Pausen
Mithilfe des Fördervereins und vieler Eltern ist eine vielseitige Schulhofgestaltung entstanden. In den Pausen bieten ein Seilgarten, eine Hgellandschaft, eine Kletterwand und Ballspielfelder den Schülerinnen und Schülern Bewegungsanreize. Zusätzlich werden ihnen kleine Handgeräte (Bälle, Seile etc.) zur Verfügung gestellt.
Unsere Schülervertretung, die auch bei der Schulhofgestaltung mitgewirkt hat, organisiert die Aus- und Rückgabe der Geräte aus dem "Bewegungsschrank". Damit wird den Schülerinnen und Schülern Verantwortung übertragen und sie werden in den Entwicklungsprozess der Schule miteinbezogen. Vor der Fußballweltmeisterschaft hat die Schülervertretung ein eigenes Fußballturnier organisiert und selbstständig durchgeführt. Die Siegerehrung und vor allem der Dank an die Schülerschiedsrichter vor der versammelten Schulgemeinde hat alle mächtig stolz gemacht. Das Beispiel zeigt: Das Einbinden aller Beteiligten ist für die Entwicklung einer Bewegungskultur an einer Schule eine grundlegende Voraussetzung.
Sportvereine und Uni helfen mit
Jeden Tag ein Sportangebot- von Abenteuerturnen bis Badminton - dieses Angebot wird durch die Kooperationen mit ortsansässigen Sportvereinen möglich. Die Schülerinnen und Schüler unserer offenen Ganztagsschule nehmen diese Angebote mit Freude wahr, und das ein oder andere Kind hat auch schon zusätzlich den Weg zum Vereinssport gefunden.
In Kooperation mit der Universität Osnabrück absolvieren regelmäßig Sportstudentinnen und -studenten ihr Fachpraktikum an unserer Schule. Sie bringen viele neue Anregungenmit in die Schule, und der Austausch mit unseren Sportlehrerinnenist für beide Seiten gewinnbringend.
Ein besonderer Höhepunkt war die Teilnahme unserer Schule an dem Projekt "active children - active schools research group". Die ausfährende Forschungsgruppe setzt sich aus Sportwissenschaftlern um Prof. Renate Zimmer (Universität Osnabrück) und Prof. Antonis Kambas (Democritos Universität Thrazien, Griechenland) zusammen und untersucht den Zusammenhang zwischen Motorik und Kognition. Die Schülerinnen und Schüler wurden eine Woche lang mit Schrittzählern ausgestattet. Bis zur Bekanntgabe der Ergebnisse stieg die Spannung beträchtlich: Sind wir wirklich eine bewegte Schule? Oder bleiben die Kinder pro Schultag unter den zu erwartenden 10000 Schritten? Die Schrittzähler waren für alle Beteiligten motivierend und ein wirksames Medium, um über die Bedeutung von Bewegung, Ernährung und Gesundheit zu reflektieren. Nachdem ich selbst nach einem langen Schreibtischtag gerade mal 5500 Schritte erreicht hatte, packte mich der Ehrgeiz. Nur eine halbe Stunde am Tag zu joggen oder zu walken, brachte mich weit über die Zehntausendermarke.
Die Freude bei der Auswertung der Schülerschrittzähler war groß: In der Testwoche haben fast alle Schüler die Vorgaben übertroffen. Einige erreichten sogar über 20000 Schritte am Tag. Ein Indiz dafür, dass Bewegung an unserer Schule inzwischen ein didaktisches und methodisches Prinzip ist. Erstaunlich und ein Grund zum Nachdenken war aber auch, dass die Anzahl der Schritte bei den Schülerinnen und Schülern am Wochenende rapide zurückging. Umso wichtiger erscheint es uns, die Bewegung zum Kern von Bildungsarbeit zu machen.
Klettern in der Turnhalle und auf dem Außengelände: Reizvolle Angebote, um die eigene Geschicklichkeit zu testen und die Motorik zu schulen
Die ganze Schule in Bewegung
Zu einer bewegten Schulkultur gehört für uns auch die Qualitätsentwicklung von Schule. In den letzten Jahren haben wir uns zur offenen Ganztagsschule entwickelt und an der Umsetzung der Idee der "Eigenverantwortlichen Schule" gearbeitet. Außerdem haben wir uns auf den Weg zur Eingangsstufe, dem jahrgangsübergreifendem Arbeiten von Klasse 1 und 2, gemacht.
Veränderungen bestehender Strukturen bedeuten immer auch Bewegung. Dabei kann Bewegung durchaus ambivalent gesehen werden: Auf der einen Seite haben Lehrkräfte zum Beispiel die Sorge, dass Bewegung Unruhe schafft, dass wenig Eigenerfahrungen von Bewegung vorhanden sind und dieses Unsicherheiten mit sich bringt. Auf der anderen Seite sind da überzeugte und begeisterte Lehrkräfte, die am liebsten schon gestern begonnen hätten.
All das erfordert ein umsichtiges Projektmanagement mit genügend Informationen, Partizipation und überzeugung aller Beteiligten. Dazu ein gutes Zeitmanagement - und natürlich vor allem: Begeisterung für die Bewegung.
Ideen für die Praxis:
Ansätze für mehr Bewegung an der Grundschule am Hagenberg:
* Bewegung in den Köpfen aller Beteiligten
* Bewegung im Unterricht
* Rolle des Sportunterrichts
* Bewegung in den Pausen
* Psychomotorisches Lernangebot
* Schulhofgestaltung
* Schulleben (Spiel- und Sportfest)
* Strukturierung des Schulalltags
* Fortbildungen
* Kooperation mit Uni Osnabrück, Vereinen etc.
* Schul- und Qualitätsentwicklung
Aus Kinderzeit, erscheint bei Family Media GmbH & Co. KG, Freiburg, Ausgabe 3/2010, S. 24 - 27